Du musst nicht normal sein – Warum wir uns Rollenerwartungen und Anpassung nicht beugen sollten


Für eine Frau ganz schön bossy – für einen Mann doch zu sensibel. Durch unsere Gesellschaft zieht sich ein patriarchales Diktat von Rollenerwartungen, denen wir unterliegen. Und das trifft auch – oder vielleicht besonders – auf den Arbeitsplatz zu. Es sind die Erwartungen daran, wie wir uns dem uns zugeschriebenen Geschlecht entsprechend zu verhalten haben, welche Kleidung akzeptiert und welches Benehmen toleriert wird. Queer sein bedeutet, sich diesen heteronormativen Erwartungen an Geschlecht(-sausdruck) zu entziehen. Und auch eigene Stereotypen und Biases abzulegen.

Ob im Alltag oder auf der Arbeit: Attributen und Eigenschaften, die als weiblich interpretiert werden, werden Schwäche zugeschrieben. Im Allgemeinen werden Männer als durchsetzungsfähig, unabhängig, selbstbewusst, wettbewerbsfähig, energisch, dominant und hart angesehen. Frauen hingegen als mitfühlend, sensibel, ausdrucksstark, unterstützend, liebevoll, freundlich und emotional.

Frauen, die den verbreiteten Rollenerwartungen entsprechen, werden vor diesem Hintergrund häufig als nicht „ausreichend qualifiziert“ und zu „soft“ für Führungspositionen angesehen. Die Wahrnehmung einer Person in Bezug auf ihr Geschlecht spiegelt diese Ungleichbehandlung wider. So werden etwa Frauen, die am Arbeitsplatz „direkt“ sind, als vermeintlich „dominant“ wahrgenommen. Männer gelten in derselben Situation als „durchsetzungsfähig“. 

Die Rollenerwartungen spiegeln das binäre System von männlich und weiblich und übersetzen es in unseren Alltag. Dabei spielt das System der Zweigeschlechtlichkeit nicht nur für cis, sondern auch für trans Personen eine prägende Rolle. Es gibt einen bewussten und unbewussten Druck, dem binären System zu entsprechen. Und das auch, wenn es für die jeweilige Person möglicherweise gar nicht passend ist. Eng damit verbunden ist die Frage danach, wie „weiblich“ oder wie „männlich“ man sein muss, um von anderen so wahrgenommen zu werden, wie man sich fühlt. Non-binäre Menschen lehnen die Zweiteilung in ausschließlich „männlich“ und ausschließlich „weiblich“ ab. Die Gesellschaft sieht sie als etwas Dazwischenliegendes – und zeigt damit ihre Überforderung und das Unvermögen, mit Geschlechtlichkeit und Geschlechtsausdrücken jenseits der erlernten Rollenbilder umzugehen. Tatsache ist jedoch: Egal, welches Geschlecht und welche Identität eine Person hat, niemand ist dazu verpflichtet, den Rollenerwartungen seines Gegenübers zu entsprechen. 

Anpassung hebt Stigmatisierung nicht auf 

Queere Personen und Mitglieder der LGBTIQ+ Community sind tagtäglich mit den binären Rollenerwartungen der Gesellschaft konfrontiert. Dabei sind es gerade sie, die diesen Erwartungen häufig nicht entsprechen. Dieser Bruch führt nicht allzu selten zu Konfrontationen, Spannungen und Diskriminierung. Er ist aber auch ein Katalysator für Veränderung. Es ist das Überschreiten der eigenen Grenzen und die Ablehnung, sich vorgeschriebenen Geschlechterrollen anzupassen, die so wichtig sind. Denn so werden klassische Rollen und Normen infrage gestellt und überwunden. 

Die Angst vor negativen Konsequenzen kann Personen daran hindern, sich öffentlich so zu zeigen, wie sie sind. Die Folge ist eine Tendenz der Anpassung und eine Einhaltung der „Grenze“. Es braucht Mut und tolle Allies im Rücken, den Schritt zu wagen und Geschlechterrollen zu widersprechen. Egal, ob es der Ausdruck der Identität durch Kleidung, das Tragen von Make-up oder das Brechen von binären Rollenerwartungen ist. 

Wir begegnen Feindseligkeit und Unverständnis häufig mit dem Versuch, Vorurteile abbauen zu wollen. „Ich bin normal, genau wie ihr.“ Durch diese „Zwangsnormalisierung“ und Anpassung wird das Queersein unterdrückt. Das Bild der nicht heterosexuellen Menschen und trans Personen wird in einen gesellschaftlichen Rahmen gepresst, den wir doch eigentlich sprengen möchten. LGBTIQ+ Personen sind selbstverständlicher Teil der Gesellschaft: Doch der Preis dafür, ein wertgeschätzter Teil dieser Gesellschaft zu sein, darf nicht durch die Anpassung und Übernahme von heteronormativen und patriarchalen Strukturen bezahlt werden. 

Egal, ob im privaten Umfeld oder am Arbeitsplatz: die eigene Ausdrucksweise und der Bruch von Rollenerwartungen sind wertvoll und ein Gewinn. Sei stolz darauf, wer du bist! Und unterstütze und ermutige andere darin, sich authentisch auszudrücken. Füreinander einzustehen und einander zu empowern, ist unsere größte Stärke!

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Proudr ist ein Projekt der UHLALA Group. Seit 2009 unterstützen, fördern und verbinden wir LGBTIQ+ Menschen in ihren Karrieren und bringen sie mit Unternehmen und Organisationen zusammen, die ihre LGBTIQ+ Mitarbeitenden schätzen.

Warum Halloween das queere Weihnachten ist


Was macht Halloween so queer?

Halloween ist eine Zeit, in der Menschen zusammenkommen und sich auch in vermeintlich extremer Art ausdrücken können. Drag in allen Formen und Größen blüht auf, wenn sowohl professionelle als auch Amateur-Darsteller:innen ihre besten und gruseligsten Looks zeigen. „Gay Christmas“ hat sich gerade in den USA, Australien und Neuseeland außerhalb der PRIDE zu einem der größten LGBTIQ+ Events des Jahres entwickelt. Es ist eine Zeit, in der es allen erlaubt ist, sich auszutoben und zu sein, wie sie sein möchten. Und das, ohne dabei den gesellschaftlichen Druck der Geschlechternormen zu spüren. Man kann sich verkleiden, wie man will. Niemand zuckt mit der Wimper – egal, ob man weniger oder mehr trägt, gruselig oder seltsam aussehen will. Während dies für einige Menschen eine erste Erfahrung in der Erforschung ihrer queeren Identität durch Stil und Ausdruck sein mag, erleben andere queere Personen diese Art von “Halloween” täglich.

Wie aber wurde aus Halloween “Gay Christmas”? Laut Micheal Bronski, Professor für Frauen- und Geschlechterstudien an der Harvard Universität, wurde Halloween in den 1950er und 60er-Jahren zu einem sicheren Hafen für LGBTIQ+ Personen. Denn nicht nur gruselige oder schaurige Kostüme sind an Halloween üblich. Auch ikonische Figuren aus Film und Medien sind beliebte Inspirationen. Gerade für trans Personen bot sich so die Möglichkeit, sich zu zeigen, wie man sich fühlt. Und zwar ohne Stigmatisierung. „Cross-Dressing“, wie es damals genannt wurde, war in den Vereinigten Staaten illegal. An aber Halloween konnte man sich gefahrlos so kleiden, wie man wollte.

„Gay Christmas“ hat seine Wurzeln in der LGBTIQ+ Community von Philadelphia. Es war Tradition, dass sich die Travestiekünstler:innen verkleideten und von Bar zu Bar zogen, wobei die Zuschauer:innen zur Unterstützung mitmarschierten. 1969 wurde das Stonewall-Inn in Greenwich Village, New York, von der Polizei gewaltsam geräumt. Dabei kam es zu Unruhen, als sich die Besucher:innen gegen die Willkür und Gewalt wehrten. Sie waren ein Ausgangspunkt für den Kampf für queere Rechte, dem wir noch heute mit den Christopher Street Days und PRIDE Märschen gedenken. Nach den Aufständen rund ums Stonewall-Inn wurden Halloween-Paraden für queere Menschen immer häufiger.

Horror ist ein queeres Genre

Halloween kann ein Testlauf für queere Menschen sein – es ist oft eine Zeit, in der sie zum ersten Mal mit der Darstellung ihres Geschlechtsausdrucks oder mit Drag experimentieren. Denn es  ist ein Tag, an dem man gesellschaftlich akzeptiert, ein wenig verrückter und seltsamer sein kann. Besonders wenn es darum geht, sich selbst auszudrücken. Als eine Community, die seit jeher am Rande der Gesellschaft steht, suchen viele LGBTIQ+ Menschen in den unkonventionellen Figuren von Film und Fernsehen nach sich selbst.

Horror hat nicht nur eine riesige Fangemeinde in der LGBTIQ+ Community. Viele der größten Schöpfer:innen dieser Kunstform sind queer. Es gäbe wohl keinen Horror, wenn es nicht auch queere Menschen gäbe. Die Autorin von “Frankenstein”, Mary Shelly, war eine queere Frau, die mit LGBTIQ+ Ikonen wie Oscar Wilde und Lord Byron verkehrte.

Shelly schuf mit ihrem Meisterwerk das, was als Gothic Horror und Science Fiction bekannt ist. Wilde folgte bald darauf mit “Das Bildnis des Dorian Gray”. Ein weiterer Klassiker des Gothic Horror ist Bram Stokers “Dracula”. Während Stoker in seinem späteren Leben zu einem heftigen und öffentlichen Homophobiker wurde, zeigen seine Liebesbriefe an Walt Whitman einen Mann, der mit seinen Begierden kämpft.

Horror soll grenzüberschreitend sein, Tabus brechen und die Ängste und Befürchtungen der Zeit widerspiegeln. 

LGBTQ+ Horrorfans haben ein Faible für Monster und Gespenster, die sich am Rande der Gesellschaft herumtreiben. Wenn man in einer Welt aufwächst, in der die eigene Existenz als Bedrohung angesehen wird, ist es leicht, sich mit den Bösewichten zu identifizieren. Das „unverstandene Monster“ trifft den Kern queerer Erfahrungen. Frankensteins Monster wird für seine bloße Existenz verachtet und gefürchtet, was für junge Menschen, die  mit ihrer Sexualität ringen, nachvollziehbar ist. Es gibt hunderte von Gruselfilmen, die entweder explizit oder unterschwellig queer sind.

Feiert “Gay Christmas” das ganze Jahr

Die Sicherheit und das Selbstbewusstsein, dass viele Queers um Halloween verspüren, sollte nicht nur auf eine Zeit im Jahr beschränkt sein. Das Kostüm muss keines bleiben. Zeigt euch, wie ihr seid! Auch, wenn es einen Teil der Gesellschaft schocken sollte.

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