Dieser Artikel und Robins Geschichte haben nicht auf direkte Weise etwas mit Arbeit und Karriere zu tun, aber sie betrifft uns trotzdem alle. Denn Queerfeindlichkeit, und vor allem Transfeindlichkeit, nimmt in der westlichen Welt und auch in Deutschland zu. Dabei wissen wir nicht einmal, wie viele transfeindliche Hasstaten es tatsächlich gibt. Diese werden nämlich oft entweder gar nicht gemeldet oder, selbst wenn sie gemeldet werden, nicht als solche erfasst.
Deshalb möchten wir uns mit diesem Beitrag auch klar gegen transfeindliche Gewalt und für Transrechte positionieren.
Robins Geschichte ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie Transfeindlichkeit ihr Gesicht zeigt, toleriert wird und wie Betroffenen nicht ausreichend geholfen wird.
Hallo Robin, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte erzählst. Du möchtest anonym bleiben, was wir natürlich respektieren. Kannst du uns dennoch ein bisschen was über dich erzählen? Gerne auch zu deiner Queerness, Transition und was du uns sonst noch preisgeben möchtest.
Ich hatte mein Coming-out als trans Mann erst im letzten Jahr, wie so viele während der Pandemie, nachdem ich zuerst lange damit gehadert habe. Nach 10 Monaten Hormontherapie sehe ich endlich mich selbst im Spiegel. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich mir vorstellen, alt zu werden. Das ist ein unglaubliches Gefühl, einen positiven Blick auf die Zukunft zu haben. Gleichzeitig bedeuten die ersten Monate und Jahre der Transition für eine trans Person besonders viel Anstrengung, weil wir optisch noch nicht passen.
Passing bedeutet, dass eine Person mit dem Geschlecht wahrgenommen wird, das sie nach außen hin präsentiert. Passing kann beispielsweise dazu führen, dass eine trans Person direkt mit den richtigen Pronomen angesprochen wird oder für cis gehalten wird. Passed eine trans Person nicht, kann das bedeuten, dass sie mehr Diskriminierung erfährt. Vielen, aber nicht allen trans Menschen ist ihr eigenes Passing sehr wichtig.
Du bist vor kurzer Zeit Opfer von transfeindlicher Gewalt geworden. Magst du uns die Situation einmal schildern?
Ich bin am späten Nachmittag mit der Tram zum Hauptbahnhof gefahren, weil ich zu einem Event in einer anderen Stadt wollte. Zwei Jugendliche waren mir schon beim Einsteigen damit aufgefallen, dass sie Kommentare über andere Fahrgäste gemacht haben. Meine Kopfhörer haben zum Glück eine Funktion, die Außengeräusche unterdrückt und damit auch die Jugendlichen. An meiner Haltestelle bin ich früh aufgestanden, um als erster die Tram verlassen zu können. Ich habe zwar gespürt, dass jemand hinter mir stand und etwas sagte, aber mit den Kopfhörern konnte ich nicht hören, was die Person gesagt hat.
In dem Moment, in dem sich die Türen öffneten und ich ausstieg, schubste mich jemand von hinten. Meine Kopfhörer fielen mit mir zu Boden. Mit den Händen konnte ich den Sturz bremsen und reflexartig versuchte ich, die Kopfhörer so schnell wie möglich zu erreichen. Was ich in dem Moment gehört habe, habe ich erst später verstanden: „Scheiß Transe!". Ich rappelte mich auf und sah die Jugendlichen über die Gleise laufen; eine trans Frau habe ich nicht gesehen. Mir war nichts wirklich passiert. Ein paar kleine Schürfwunden, aber sonst war ich ok.
Ich stellte mich an den Rand des Gehsteigs, um andere Fahrgäste nicht beim Ein- und Aussteigen zu hindern und steckte mir eine Zigarette an. Mit jedem Zug wurde mir klar, dass die Jungs mich gemeint hatten mit ihrem "Scheiß Transe!". Ich war die einzige trans Person weit und breit. Die Erkenntnis, dass geschubst zu werden in Verbindung stand mit "Scheiß Transe", war krass. Auf direktem Weg bin ich nach Hause gegangen, statt weiter zu meiner Veranstaltung zu fahren.
„Dass zwei Jungs die Motivation hatten, mich zu verletzen, weil sie mich als trans gelesen haben, das hat Angst bei mir hinterlassen.“
Wie hast du dich in dem Moment des Angriffs gefühlt? Was hast du danach getan?
Ich habe mich wie gelähmt gefühlt nach der Erkenntnis, dass es transphob motiviert war, geschubst zu werden. Mir ist körperlich nicht wirklich etwas passiert, aber dass zwei Jungs die Motivation hatten, mich zu verletzen, weil sie mich als trans gelesen haben, das hat Angst bei mir hinterlassen.
Ich bin nach dem "Angriff" (Das Wort Angriff fühlt sich immernoch komisch an, weil mir ja körperlich nicht viel passiert ist und trotzdem ist das Wort natürlich sachlich richtig und ich würde es bei jemanden anders nicht in Frage stellen) direkt nach Hause gelaufen. Auf dem Weg habe ich noch meine Veranstaltung abgesagt und zwei Freundinnen Bescheid gesagt, dass ich Support brauche, um mit einer schwierigen Situation umzugehen. Ich bin wirklich dankbar für meinen Freundeskreis.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass eine cis Person bei der Polizei so etwas nachvollziehen kann oder nur das fachliche Wissen hat, ist gering.“
Du hast uns bereits erzählt, dass du dich nach dem Vorfall dazu entschieden hast, dich nicht bei der Polizei zu melden. Kannst du uns schildern, warum?
Das ist ziemlich einfach. In NRW wird nicht ausreichend ausgewertet, ob es sich bei Taten um transphob oder homophob motivierte Taten handelt - bisher passiert das meines Wissens nach nur in Berlin. Es gibt zwar eine Kampagne, die LGBTIQ+ Personen dazu motivieren soll, Anzeige zu erstatten, aber ich persönlich habe kein Vertrauen zur Polizei. Zumal nur wenige Polizeibeamt:innen geschult sind im Umgang mit LGBTIQ+ Personen und speziell mit trans Personen.
In einer solchen Situation, wo ich mich extrem verwundbar gefühlt habe, mich einer Situation auszusetzen, in der ich mit großer Wahrscheinlichkeit misgendert werde oder mein Passing von cis Menschen bewertet wird, war für mich undenkbar.
Dazu kam, dass ich gerade ein paar Wochen zuvor erst meine Vornamens- und Personenstandsänderung (VäPä) hatte und ich mich quasi im rechtlichen Limbo befand. Bei der Beantragung meines neuen Personalausweises eine Woche vor dem Vorfall, wurde mein alter Ausweis eingezogen, weil er mit der VäPä seine Gültigkeit verloren hat. Entsprechend konnte ich mich nicht ausweisen - zumindest nicht mit einem Personalausweis oder Führerschein. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine cis Person bei der Polizei so etwas nachvollziehen kann oder nur das fachliche Wissen hat, ist gering.
Die Idee, mit Beamt:innen zu diskutieren, warum ich mich nicht ausweisen kann und trotzdem ernst genommen werden zu wollen in einer Situation, in der mir physisch nicht viel passiert ist, hat mich psychisch komplett überfordert. Hinzu kommt, dass die Strafen für transphob motivierte Taten immer noch viel zu gering sind, siehe zum Beispiel das Urteil zum Fall von Malte C., und aus meiner Sicht weder Abschreckungseffekt haben, noch den Situationen gerecht werden.
Erst im Dezember 2022 wurde beschlossen, dass geschlechtsspezifische Gewalt explizit bei Hasskriminalität im Strafgesetzbuch erwähnt wird. Diese Art von Gewalt, vor allem gegen trans Personen, wird in vielen Bundesländern noch nicht explizit als solche erfasst. Es wird davon ausgegangen, dass es bei queerfeindlicher Gewalt grundsätzlich eine hohe Dunkelziffer gibt.
Hast du dir an anderer Stelle Hilfe oder Unterstützung gesucht?
Puh, was bedeutet Hilfe oder Unterstützung? Meine Freund:innen waren da für mich. Die Person, die für das Event verantwortlich ist, auf das ich am Abend gehen wollte, hat mich unterstützt und mir mit meiner Entscheidung geholfen, ob ich Anzeige erstatten möchte oder nicht.
Ich war auch zum ersten Mal dankbar dafür, dass trans Personen in Deutschland eine bestimmte Anzahl an Therapiestunden ableisten müssen, wenn sie zum Beispiel geschlechtsangleichende Maßnahmen bei der Krankenkasse beantragen wollen. Entsprechend hatte ich therapeutische Unterstützung, um den Vorfall zu verarbeiten.
„Ich war immer davon ausgegangen, dass mir jemand helfen würde, wenn mal etwas passieren würde.“
Wie viel Zeit ist ungefähr seit dem Angriff vergangen und hat sich seitdem etwas, zum Beispiel an deinem Verhalten oder deinen Gefühlen, verändert?
Knapp 6 Wochen sind es aktuell. Ja, es hat sich definitiv etwas verändert. Ich bin wütender als sonst. Nicht nur über die Jugendlichen, sondern auch darüber, dass mir in der Situation selbst niemand geholfen hat. Das hat mein Vertrauen, das ich sonst in Menschen hatte, definitiv beschädigt. Ich war immer davon ausgegangen, dass mir jemand helfen würde, wenn mal etwas passieren würde. Aktuell versuche ich größere Menschenmengen und den ÖPNV zu vermeiden und wenn ich doch mit der Bahn fahren muss, dann trage ich zwar meine Kopfhörer, höre aber keine Musik und unterdrücke auch Umgebungsgeräusche nicht.
Meine soziale Dysphorie ist außerdem schlimmer geworden. Ich wusste vor dem Vorfall schon, dass ich nur ca. 50% der Zeit als Mann gelesen werde. Das Wissen, dass aber schon Jugendliche erkennen, dass ich trans bin (auch wenn sie mich als trans Frau und nicht als trans Mann gelesen haben), ist ein ziemlicher Dämpfer für mein Selbstbewusstsein. Ich bewege mich aktuell mit weniger Selbstverständnis als Mann durch die Welt.
Dysphorie bezeichnet vor allem bei vielen trans und nicht-binären Menschen eine Art des körperlichen oder sozialen Unwohlseins, das mit dem Geschlecht zusammenhängt. Körperliche Dysphorie beschreibt die eigene Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, wenn dieser nicht zu den Vorstellungen des eigenen Geschlechts passt. Soziale Dysphorie beschreibt die Unzufriedenheit damit, nicht von anderen Menschen als das eigene Geschlecht gesehen zu werden.
„Ich bewege mich aktuell mit weniger Selbstverständnis als Mann durch die Welt.“
Bald ist Trans Day of Visibility (auf deutsch: Tag der Sichtbarkeit von trans Menschen), passend dazu machst du deine Erfahrungen sichtbar. Was wünschst du dir zu diesem Anlass für trans Menschen, auch mit Hinblick auf deine Geschichte, heute und in der Zukunft?
Das ist eine interessante Frage und ich wünsche mir mehr, als erfüllt werden wird.
Was möchtest du anderen trans Menschen und queeren Menschen mitgeben, die queerfeindliche Gewalt erfahren haben oder vielleicht Angst davor haben, Opfer von queerfeindlicher Gewalt zu werden?
(Robin überlegt kurz) Hmmm, wahrscheinlich, so etwas wie:
Du möchtest deine Geschichte erzählen und die LGBTIQ+ Community inspirieren?
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