Grenzüberschreitungen im Job: Warum wir mehr über Consent am Arbeitsplatz sprechen sollten

Das Wort Consent, im Deutschen so viel wie Zustimmung, ist nun schon seit einiger Zeit fast allen Menschen ein Begriff und auch die queere Community spricht viel darüber. Dabei ist der Kontext, in dem darüber gesprochen wird, oft jedoch sehr begrenzt. Meistens geht es dabei um Sex und um sexuelle Handlungen. Aber Consent ist auch darüber hinaus super wichtig, auch in nicht-sexuellen Kontexten und auch unter Queers – im Alltag und im Job.


Was sind Grenzüberschreitungen?

Consent ist überall dort wichtig, wo andere sich durch das Verhalten einer Person unwohl oder belästigt fühlen können. Wenn das passiert, sprechen wir von Grenzüberschreitungen. Grenzüberschreitungen reichen von sexuellen Übergriffen über unangemessene Gesten und Kommentare bis zu unüberlegten Fragen oder Verhaltensweisen. Eine Grenzüberschreitung muss nicht immer mit einer böswilligen Absicht passieren. Eine Sache, die für den Großteil der Menschen in deinem Umfeld okay ist, kann für eine andere Person unangenehm sein. Und für die gleiche Person kann die gleiche Handlung je nach Umfeld manchmal in Ordnung und manchmal unpassend sein. 

Hier sind ein paar Beispiele von potenziellen Grenzüberschreitungen am Arbeitsplatz:

  • Sexuelle Gesten, Kommentare und Handlungen jeglicher Art: Hierunter fallen unerwünschte Berührungen, zum Beispiel am Bein oder Po, Kommentare über das Aussehen, die Figur oder das sexuelle Verhalten von anderen oder einem selbst. Auch Starren oder anzügliche Blicke und Gesten zählen dazu.
  • Unangemessene Fragen über intime Dinge: „Hattest du eigentlich schon die OP?“ an eine trans Person oder etwa die Frage nach der sexuellen Orientierung von anderen.
  • Unsachliche Kritik: Dazu gehört zum Beispiel die Bewertung des Aussehens eines:r Kolleg:in und unsachliche und persönliche Kritik an der Arbeit oder der Arbeitsweise anderer.
  • Ein unangemessener Ton ist vor allem in beruflichen Kontexten unerwünscht. Fluchen, Slang (ja, auch queerer Slang), Schreien und natürlich Beleidigungen können vielleicht unter Freund:innen in Ordnung sein, sind aber oft fehl am Arbeitsplatz.

Verantwortung übernehmen

Wir alle haben sehr wahrscheinlich schon mal in unserem Leben die Grenzen von anderen Menschen überschritten. Und das ist normal. Niemand weiß alles. Aber jede:r von uns muss Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Nur so können wir lernen und uns selbst verbessern. Und nur das ist fair unseren Mitmenschen gegenüber.

Viele Menschen haben die Tendenz dazu, sich abwehrend zu verhalten, wenn sie auf ihr eigenes grenzüberschreitendes und/oder übergriffiges Verhalten aufmerksam gemacht werden. So ähnlich wie, wenn man eine Person darauf aufmerksam macht, dass sie eine queerfeindliche Aussage von sich gegeben hat. Das ist wie ein interner Schutzmechanismus. Die Person, die sich beschwert, sei „zu sensibel“ und „Ich bin doch nicht übergriffig!“ Aus diesem Grund halten gerade marginalisierte Personen oft Grenzüberschreitungen aus, anstatt sie anzusprechen.

Je privilegierter eine Person ist, desto eher sollte sie aktiv anderen Menschen zuhören, um zu lernen. Vor allem marginalisierte Personen erfahren oft Grenzüberschreitungen, auch in Form von Diskriminierung, da ihre Lebensrealitäten nicht Teil der „Norm“ sind. Aus dem gleichen Grund werden ihre Beschwerden oft auch überhört und kleingeredet.

Warum ist Zuhören so wichtig, wenn es um Consent geht?

Das Ansprechen ist dabei aber genau der richtige und auch zielführende Umgang mit Übergriffigkeit. Wir dürfen schließlich alle voneinander lernen. Denn was für eine Person übergriffig ist, kann für eine andere Person vollkommen in Ordnung sein. Unsere Lebensrealitäten sind alle unterschiedlich. Der Schlüssel, um Grenzüberschreitungen zu vermeiden, ist Achtsamkeit. Wir müssen mehr aufeinander Acht nehmen, uns Kritik zu Herzen nehmen und aktiv Lernen, damit wir vorsichtiger und rücksichtsvoller sein können. Natürlich heißt das nicht, dass man grundsätzlich ein Blatt vor den Mund nehmen muss. Hier kommt wieder der Consent ins Spiel. Wir sollten uns gegenseitig einfach öfter fragen, ob bestimmtes Verhalten oder Kommentare auch für unser Gegenüber in Ordnung sind.

Was kann ich gegen Grenzüberschreitungen bei der Arbeit tun?

  1. Ein offenes und tolerantes Arbeitsumfeld löst bereits viele Probleme. Zum einen werden Übergriffe seltener, da Mitarbeiter:innen voneinander lernen. Andererseits fühlen sich Betroffene eher in der Lage, Dinge anzusprechen, wenn ihnen Offenheit und Wertschätzung entgegengebracht werden.
  2. Unabhängige Ansprechpersonen, auch für kleine Dinge, sind unglaublich wichtig. Gerade, wenn Vorgesetzte übergriffig sind. Vor allem in kleinen Unternehmen gibt es oft das Problem, dass explizite Ansprechpersonen neben den Vorgesetzten nicht existieren. Eine direkte Konfrontation mit Täter:innen ist nicht immer zielführend und kann für Betroffene manchmal auch gefährlich werden. Aus diesem Grund ist eine neutrale dritte Person unbedingt notwendig.
  3. Umfassende Schulungen zu Grenzüberschreitungen: Arbeitgeber:innen können aktiv dafür sorgen, dass ihre Mitarbeitenden lernen und sich weiterbilden. Hier können beide Seiten geschult werden: Wie man selbst Grenzüberschreitungen bei anderen vermeidet und damit umgeht, wenn man angeschuldigt wird. Und wie man damit umgehen kann, wenn andere einem selbst gegenüber übergriffig sind.
  4. Gegenseitige Unterstützung von Kolleg:innen: Seid wachsam und werdet aktiv, wenn ihr Grenzüberschreitungen bei euren Kolleg:innen erlebt. Ihr könnt entweder den:die Täter:in konfrontieren oder auf die Betroffenen zugehen. Teilweise kann es auch schon helfen, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.


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